Seit einiger Zeit wird immer wieder vom Zukunftsmodell „Business Ökosystem“ gesprochen. Aber was genau sind Business Ökosysteme? Welche Bedeutung haben sie und was nutzen sie uns?
Business Ökosysteme – ein neuer Hype oder wirklich ein Paradigmenwechsel?
Der Bestseller-Autor Dr. Michael Lewrick definiert ein Business Ökosystem als «neue einzigartige Angebote, die dem Kunden von verschiedenen Akteuren in einem System bereitgestellt werden» (Business Ökosystem Design, 2021).
Viele Unternehmen sind gerade dabei, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, die durch Nutzung von Technologien wie dem Internet der Dinge (engl. Internet of Things bzw. IoT) oder Künstlicher Intelligenz möglich sind. Hersteller von physischen Produkten machen ihre Produkte «smart», indem sie Informationen (Daten) über das Produkt und dessen Nutzung in eine IoT-Cloud senden. So entsteht ein «digitaler Zwilling» des physischen Produktes. Auf Basis dieser Daten können neue digitale Services entwickelt und den Kunden über ein Subscription-Modell (Abo-Modell) zur Verfügung gestellt werden.
Mit dem Nutzenversprechen der digitalen Services eines Unternehmens kann jedoch häufig nur ein kleiner Teil der Wertschöpfungs-Kette des Kunden optimiert werden. Was wäre, wenn wir es schaffen würden, die gesamte Wertschöpfungs-Kette unserer Kunden zu optimieren oder durch Nutzung neuer Möglichkeiten komplett zu revolutionieren? Genau hier kommen Business Ökosysteme ins Spiel.
Wie bilden sich Business Ökosysteme?
Ein Business Ökosystem entsteht in der Regel durch das Erkennen des Potentials einer Disruption in einem bestimmten Segment (Smart Factory, Smart Lab, Smart Building, etc.). Das Unternehmen, welches das Potential erkannt hat, kann dieses jedoch mit den eigenen Mitteln und Fähigkeiten nicht umsetzen. Deshalb überlegt es, welche Partner bzw. andere Unternehmen es benötigt, um ein neues, viel grösseres und disruptives Nutzenversprechen für die Kunden zu generieren, welches keines der Unternehmen alleine liefern kann.
Mittels «Business Ökosystem Design» wird ein co-kreativer Prozess initiiert, an dem die Unternehmen teilnehmen, welche das Potential erkannt haben und offen für neue Zusammenarbeitsmodelle sind. Denn anstatt wie bisher in komplizierte Partner-Verträge und -Vereinbarungen zu investieren, entsteht ein neues Geschäftsmodell. In diesem Modell leistet jedes Unternehmen seinen Beitrag für einen höheren Kundennutzen in einem dezentralen, sich selbst steuernden Ökosystem. Dazu kann ein Joint Venture oder auch ein separates neues Unternehmen entstehen, in das die beteiligten Unternehmen investieren.
Business Ökosystem an einem Beispiel erklärt
Ein Hersteller von Produkten für die Vorbereitung von Laborproben (Pipetten, Zentrifugen, Tiefkühlschränke, Shaker, Consumables etc.) hat erkannt, dass viele Labore heute noch immer sehr wenig digitalisiert und automatisiert sind. In diesen Laboren verbringt beispielsweise ein hochqualifizierter Wissenschaftler 50 Prozent seiner Zeit mit der Dokumentation von Experimenten und administrativen Aufgaben. Um einen Beitrag zur Reduktion der manuellen Tätigkeiten beizutragen, hat der Laborprodukte-Hersteller seine Produkte «smart» gemacht und bietet nun digitale Services für die Vorbereitung der Proben an. Sein Nutzenversprechen dreht sich rund um das Thema «Vorbereitung von Proben». Der Kern eines Forschungs-Labors ist jedoch ein oder mehrere Analysegeräte, in denen die vorbereiteten Proben analysiert werden. Auch die Hersteller der Analysegeräte haben ihre Produkte «smart» gemacht und bieten digitale Services rund um das Thema Analyse an. Ein dritter Marktteilnehmer im Umfeld von Laboren hat eine coole neue Software entwickelt, die den gesamten Laborprozess vom Design über die Planung, Ausführung und Optimierung von Experimenten automatisiert. Ein vierter Marktteilnehmer bietet Daten-Analysen mittels Künstlicher Intelligenz an usw.
Das grösste Nutzenversprechen für das Kunden-Labor wäre eine zwischen den Marktteilnehmern abgestimmte, hochintegrierte Gesamtlösung für alle Herausforderungen rund um das Experiment. Der Produkte-Hersteller könnte die Rolle des «Orchestrators» einnehmen und das «Labor Business Ökosystem» initiieren. In einem dreimonatigen «Ökosystem-Design-Prozess» würde zwischen den Marktteilnehmern diskutiert und entschieden werden, welches Unternehmen welche Rolle einnimmt und welche Produkte und Services in das Business Ökosystem eingebracht werden. Eine Entscheidung könnte sein, ein neues unabhängiges Unternehmen zu gründen, um die Gesamtlösung ins Leben zu rufen. Jedes Unternehmen des Business Ökosystems investiert in dieses neue Start-Up. Da alle Teilnehmer des Ökosystems ein Interesse haben, dass das Start-Up erfolgreich wird, werden auch in jedem Unternehmen entsprechende Go-to-Market-Strategien entwickelt und umgesetzt.
Sind Business Ökosysteme die Zukunft?
Aus Sicht des Kunden bieten Business Ökosysteme einen enormen Mehrwert – dennoch ist dieses Geschäftsmodell bisher relativ wenig verbreitet. Durch die immer weiterreichende Digitalisierung werden Grenzen zwischen Branchen allerdings zunehmend aufgelöst – bisher stabile und bewährte Geschäftsmodelle beginnen zu wanken. Die Ansätze von Business Ökosystemen bieten Unternehmen verschiedenste Möglichkeiten, um in dieser disruptiven Welt zu bestehen. Auch wenn in der Praxis noch nicht viele dieser Ökosysteme existieren, beschäftigen sich dennoch immer mehr Unternehmen mit dieser Thematik. Das Thema wird daher in den kommenden Jahren an Bedeutung gewinnen und zu einem Erfolgsfaktor in Bezug auf Kundenorientierung werden.
Mehr zum Thema: In der #Zukunftsmenschen Session am 02.12.2021 hat sich Ralf Günthner mit Michael Lewrick über die Chancen von Business Öksystemen unterhalten. Die Aufzeichnung des Inputs sowie die anschliessende Diskussion gibt’s hier zum Nachschauen.